Mit der Taxonomie-Verordnung der EU führt für Immobilienunternehmen und -investoren kein Weg mehr an der Berücksichtigung von ESG-Kriterien vorbei. Wie gehen Unternehmen damit um?
Kurz erklärt: ESG vereint die Parameter Environment (Umwelt) – Social (Arbeitsbedingungen, Gesundheitssystem, Sicherheit) – Governance (gute Unternehmensführung). Wenn Immobilienunternehmen ihre Auseinandersetzung mit diesen Kriterien dokumentieren, eröffnen sie Investoren die Möglichkeit, nachhaltigkeitsbewusst zu entscheiden und zu investieren. Mehr als 80 Prozent der mehr als 100 durch EY Real Estate für den aktuellen ESG-Snapshot befragten Marktakteuren der Immobilienwirtschaft erwarten künftig eine hohe investorenseitige Nachfrage nach nachhaltigen Produkten. Drei Viertel der Marktakteure gaben zudem an, dass ihrer Meinung nach künftig überwiegend nachhaltige Produkte auf den Markt kommen werden.
Aus den ESG-Kriterien resultieren sogenannte Nachhaltigkeitsrisiken, deren Management die BaFin in einem Merkblatt thematisiert. Alle Finanzmarktteilnehmer müssen seit dem 10. März 2021 transparent kommunizieren, wie sie mit Nachhaltigkeitsrisiken umgehen – das sind laut BaFin „Ereignisse oder Bedingungen aus den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung, deren Eintreten tatsächlich oder potenziell erheblich negative Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage sowie auf die Reputation eines Unternehmens haben können; dies schließt klimabezogene Risiken in Form von physischen Risiken und Transitionsrisiken (als Folge von Anpassungsprozessen) ein.“ Dies deshalb, weil solche Risiken den Immobilienwert verringern und dadurch die Profitabilität reduzieren können. Direkt einleuchtend ist das bei physischen Risiken wie Überschwemmungen. Transitionsrisiken entstehen beispielsweise in Folge von Anpassungsprozessen bei der Decarbonisierung durch die Verteuerung fossiler Energieträger. Reputationsrisiken wirken auf den Ruf eines Unternehmens, hier kommen in erster Linie Vernachlässigungen des S und des G aus ESG zum Tragen, etwa wegen mangelnden Arbeitsschutzes oder durch Steuerstrafverfahren.
„Ökologische, soziale und Governance-Faktoren sind zu einem unverzichtbaren Bestandteil des Immobilienmanagements geworden“, betont Marco Kohla, Geschäftsführer bei GalCap Europe. Deshalb muss sich die Immobilienbranche den ESG-Anforderungen schnell anpassen, ist sich Susanne Eickermann-Riepe, FRICS und Partner Real Estate Advisory bei Pricewaterhouse Coopers, sicher. Denn nicht nur die Investoren-, sondern auch die Finanzierungsseite wird zukünftig genauer auf die Nachhaltigkeit eines Unternehmens und seines Portfolios achten.
Zu diesem Zweck stellt bei der Münchner BVT-Gruppe bereits seit letztem August ein ESG-Team die entsprechende Compliance auf Unternehmensebene und bei Investitionsentscheidungen sicher. „Die Berücksichtigung von ESG-Kriterien ist konsequente Grundlage unserer Geschäftspolitik, unserer Investitionsentscheidungen und unseres Assetmanagements. Die Bedeutung dieser Kriterien unterstreichen wir mit der Gründung der neuen Gremien und implementieren sie konsequent in unseren Wertschöpfungsprozess. Hierfür werden wir unser ESG-Selbstverständnis und für jeden Unternehmensbereich eine assetklassenspezifische ESG-Investitionspolitik formulieren“, fasst Tibor von Wiedebach-Nostitz, Geschäftsführender Gesellschafter der BVT Holding, die aktuellen Schritte zusammen.
Auch die Hahn-Gruppe konnte im Dezember ihren ersten Konzern-Nachhaltigkeitsbericht veröffentlichen: „Wir wollen nicht nur den Dialog intensivieren und transparent berichten, sondern in das Management unserer Handelsimmobilien-Investmentprodukte konsequent ESG-Kriterien integrieren. Insbesondere beim Umweltschutz nehmen die Herausforderungen für die Wirtschaftsakteure sprunghaft zu. Mittelfristiges Ziel ist das Angebot ausgewiesener Nachhaltigkeitsfonds“, erläutert der Vorstandsvorsitzende Thomas Kuhlmann.
Mit ihrer Nachhaltigkeitsdefinition geht die Catella Real Estate AG über einen klassischen „Labeling-Ansatz“ hinaus und integriert Nachhaltigkeit aktiv und konsequent im Unternehmen. „Nachhaltigkeit ist ein Grundpfeiler unserer Unternehmenskultur. Mit unserem ganzheitlichen Ansatz leisten wir jeden Tag einen positiven Beitrag für eine nachhaltig gestaltete Zukunft“, zeigt sich Jürgen Werner, Vorstand der CREAG, überzeugt. „Beim Thema Nachhaltigkeit geht es vor allem um Glaubwürdigkeit. Investoren und andere Stakeholder merken schnell, ob eine klare ESG-Strategie hinter den Aussagen steht“, so Werner.
So reicht die Repräsentanz von ESG-Kriterien im Immobilienalltag von der Überwachung von Verbrauchsdaten (z.B. Strom, Wärmeenergie, Wasser und Abfall) bis hin zur klassischen Due Diligence im Ankaufsprozess, die um Nachhaltigkeits-Aspekte erweitert werden muss. Die Regulierung beschleunigt diese Entwicklung, angetrieben wird sie jedoch nicht nur durch den Gesetzgeber, sondern auch durch Investoren, Stakeholder und die Öffentlichkeit – um es mit Victor Hugo zu sagen: „Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“
Warum die Immobilienbranche gut daran tut sich dem Thema offensiv zu stellen. Lesen Sie jetzt den Beitrag von Prof. Dr. Thomas Beyerle:
Freie Journalistin