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Energiewirtschaftliche Lösungen für Quartiere

Das erklärte klimapolitische Ziel sind energieautarke Quartiere. Doch was zeichnet klimaautarke Quartiere aus? Welche Vorteile bieten sie und wie lassen sie sich erreichen? Und wo liegen Hürden und Hindernisse? Technisch möglich sind solche Quartiere, aber es sind nicht nur technische Herausforderungen, die damit verbunden sind.

Einführung und technologische Grundlagen

Definition energieautarkes Quartier

Energieautarke Quartiere nutzen erneuerbare Energien wie Solar-, Wind- und Biogasenergie zur Erzeugung von Wärme und Strom, ohne weitere Energiequellen von außerhalb des Quartiers zu nutzen, energetisch also vollständig unabhängig und eigenständig zu sein. Ziel ist, eine positive Jahres-Energiebilanz zu erreichen, also nicht nur ausreichend, sondern sogar mehr Energie zu produzieren, als im Quartier selbst benötigt wird. Damit soll der klimaschädliche CO₂-Ausstoß erheblich reduziert werden.

Städte sind für 70 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich und haben einen Anteil von über 65 Prozent am weltweiten Energieverbrauch. Städtische Maßnahmen sind daher für den Klimaschutz von entscheidender Bedeutung und können erheblich dazu beitragen, die Vorgaben der EU zu erfüllen, nämlich bis 2050 in der gesamten EU Klimaneutralität zu erreichen und bis 2030 die Treibhausgasemissionen um 55 Prozent zu senken.

Technologische Grundlagen

Energieautarke Quartiere sind technisch möglich. Erneuerbare Energien wie Photovoltaik, Solarthermie, Geothermie sowie Bioenergie aus fester und flüssiger Biomasse sind seit langem bekannt und werden für die Strom- und Wärmeerzeugung genutzt. Während Geothermie weitgehend gleichbleibende Energie und Bioenergie gezielt nach Bedarf eingesetzt werden kann, produzieren Photovoltaik und Solarthermie Strom und Wärme je nach Standort und Witterung mal mehr, mal weniger. An einem strahlend blauen Hochsommertag erzeugt Photovoltaik oft deutlich mehr Strom als benötigt und solarthermische Anlagen erhitzen das Wasser deutlich höher als etwa an einem trüben, kalten Wintertag, an dem man mehr Licht braucht und man eher eine heiße Dusche baucht als im Hochsommer. Darum ist die Frage, wie man Energie speichern kann, von zentraler Bedeutung, um die Energiewende zu schaffen, aber ebenso für die Stabilität des Stromsystems und des Stromnetzes.

Eine Speichermethode sind Batterien, die aber nur begrenzt und nicht ausreichend Kapazitäten bieten. Daher arbeiten verschiedene Unternehmen und Forschungseinrichtungen an der Entwicklung innovativer Speichertechnologien, die es ermöglichen, Strom aus erneuerbaren Quellen langfristig zu speichern. So gibt es Ansätze für die Umwandlung von von „Power to Gas“, eine Technologie, bei der Strom in Wasserstoff oder Methangas umgewandelt wird. Eine andere Variante ist „Power to X“, die Herstellung synthetischer Brenn-, Kraft- und Grundstoffe aus elektrischer Energie. Auch chemische Energiespeicherung mit Hilfe reaktiver Metalle wie Aluminium, Silizium, Titan, Calzium, Magnesium oder Natrium scheint eine Möglichkeit zu sein. Und im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) denkt man über so genannte Carnot-Batterien nach, die es seit fast 100 Jahren gibt. Dabei erhitzt eine mit erneuerbarer Energie betriebene Wärmepumpe ein Medium (Wasser, Salz, Steine). Eine Dampfturbine kann diese Energie bei Bedarf wieder in Strom verwandeln.

Planung, Umsetzung und Sektorenkoppelung

Um Quartiere energieautark zu gestalten, muss zunächst die bauliche Infrastruktur entsprechend gestaltet sein. Ob Neubau oder Sanierung von Bestandsgebäuden – erforderlich ist eine hohe Gebäudequalität mit hoher Energieeffizienz sowie entsprechende Einrichtungen zur Nutzung erneuerbarer Energien.

Eine zweite Voraussetzung ist eine energiesparende Haustechnik, aber auch der Verbrauch sollte möglichst energieeffizient sein. Damit jedoch aus vielen energieeffizienten Gebäuden ein energieautarkes Quartier wird, müssen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) integriert werden, die die verschiedenen Systeme intelligent miteinander verknüpfen, so dass aus zahlreichen unterschiedlichen Einzeltechnologien und -komponenten ein integriertes, interoperables und energieeffizientes Gesamtsystem entsteht. Dabei werden unterschiedliche Sektoren wie Strom, Wärme und Mobilität miteinander gekoppelt.

Durch die Sektorenkoppelung können die Herausforderungen des schwankenden Angebots von Sonnenenergie verringert werden. Die Sektorenkopplung ermöglicht einen deutlich geringeren Einsatz von Stromspeichern, da die schwankende Erzeugung von Solarstrom nicht mehr nur im Stromsektor ausgeglichen werden muss, sondern unter anderem auch Wärmesektor oder Verkehrssektor die nötige Flexibilität zum Ausgleich der Schwankungen liefern können. So können Stromüberschüsse z. B. als Wärme, Kälte, synthetische Brennstoffe usw. gespeichert werden, ohne dass teure Stromspeicher zum Einsatz kommen müssen.

Aufgrund der Sektorenkopplung können erneuerbare Energien verstärkt in den Sektoren Wärme und Verkehr eingesetzt werden, in denen bislang fast ausschließlich fossile Brennstoffe zum Tragen kommen. Diese fossilen Brennstoffe können eingespart werden, wenn Stromüberschüsse für Wärmepumpen und Elektroautos genutzt werden. Insbesondere die Kopplung von Strom- und Wärmesektor mit Wärmepumpenheizungen ist wichtig, da diese als die effizienteste Form der Strom-Wärme-Kopplung gelten.

Folgt man Russell McKenna, Leiter des Labors für Energiesystemanalysen am Paul Scherrer Institut (PSI) und Professor für Energiesystemanalyse an der ETH Zürich, der sich seit langem mit dem Thema Autarkie beschäftigt, lässt sich das Konzept am ehesten auf der Ebene von Siedlungen, Quartieren oder kleinen Gemeinden sinnvoll verwirklichen. Denn in dieser Grössenordnung könne man die Kilowattstunde Energie kostengünstiger produzieren und speichern als bei einem einzelnen Gebäude. Zudem seien bestimmte technische Lösungen erst ab einer gewissen Größe überhaupt möglich, so etwa thermische Netze oder umfangreiche Wärmespeicher.

Und noch einen weiteren Vorteil bringt der Zusammenschluss vieler Haushalte: Die Nachfragespitzen verteilen sich besser. Der Stromverbrauch eines Haushalts ist grundsätzlich sehr unregelmäßig und schwer prognostizierbar. Ein kleines Energiesystem für wenige Haushalte gerate daher schnell an seine Grenzen, wenn per Zufall mehrere Haushalte gleichzeitig einen hohen Bedarf haben. Wenn 100 oder mehr Haushalte versorgt werden, gleichen sich Bedarfsspitzen aus und wird das Nachfrageprofil vorhersehbarer.

Finanzierung und Förderung

Die Transformation zu klimaneutralen Städten und Gemeinden sowie die Entwicklung energieautarker Quartiere kostet Geld, nicht nur die Kommunen, sondern auch private Unternehmen und Privatpersonen. Sowohl der Bund als auch die Länder fördern sowohl die energetische Sanierung von Bestandsimmobilien als auch die Entwicklung von energieautarken Quartieren. Bis zum vergangenen Jahr gab es von der KfW einen Zuschuss für Klimaschutz und Klimaanpassung im Quartier. Jetzt hat der Bund beschlossen, für 2024 ebenso wie für die Folgejahre keine weiteren Mittel mehr für das Programm „Energetische Stadtsanierung“ zur Verfügung zu stellen.

Die KfW unterstützt aber weiterhin bei der Erstellung integrierter Quartiers­konzepte für energetische Sanierungsmaßnahmen sowie für nachhaltige Mobilität und grüne Infrastruktur. Darüber hinaus fördert die KfW die Kosten für eine Sanierungsmanagerin oder einen Sanierungsmanager. Das Sanierungsmanagement begleitet und koordiniert die Planung und Umsetzung der in den Konzepten vorgesehenen Maßnahmen.

Hinzu kommen Einzelmaßnahmen wie die Förderung der energetischen Sanierung von Wohngebäuden, die Förderung von Einzelmaßnahmen an der Gebäudehülle, Anlagentechnik (außer Heizung), Anlagen zur Wärmeerzeugung, Heizungsoptimierung sowie Fachplanung und Baubegleitung.

2020 hat das österreichische Bundeministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) in einem Bericht zur Energie- und Umweltforschung u.a. eine Differenzkostenanalyse über 30 Jahre für ein Plus-Energie-Quartier durchgeführt. Demnach liegen die Mehrinvestitionskosten gegenüber einem konventionellen Quartier zwischen 120 und 230 Euro pro Quadratmeter Nettogrundfläche. Der Investitionsbedarf in die lokale Energieerzeugung hängt stark von der Nutzungsmischung im Quartier ab. Bei unterschiedlichen Verbrauchsprofilen Wohnen, Büro, Nahversorger liegen sie aufgrund einer möglichen Abwärmenutzung niedriger als bei einer reinen Wohnsiedlung. Zudem wurden in dem Bericht Finanzierungs- und Wartungskosten den Einsparungen im Betrieb gegenübergestellt. Dabei ergaben sich nur geringe Mehr- bzw. Minderkosten in Höhe von -2 bis 0,6 Euro pro Quadratmeter Nettogrundfläche.

Rechtliche Rahmenbedingungen und Praxisbeispiel

Da in energieautarken Quartieren Energie lokal und von mehreren Einzelanlagen erzeugt wird, müssen auch sehr unterschiedliche Akteure – Bürger, Kommunen, Industrie- und Gewerbebetriebe – an Entscheidungen beteiligt werden. Dafür bedarf es neuer Infrastruktur-, Geschäfts- und Partnerschaftsmodelle, um einen entsprechenden rechtlichen Rahmen zu schaffen.

Zu den rechtlichen Rahmenbedingungen für Energiegemeinschaften, wie sie in energieautarken Quartieren notwendig sind, gehören die EU-Richtlinie über erneuerbare Energien (RED II), das Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende (GND-Gesetz), das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG 2023) sowie das Messstellenbetriebsgesetz (MsbG). Allein die Zahl der Richtlinien und Gesetze, die zu beachten sind, zeigt, dass die Bildung einer Energiegemeinschaft kein ganz einfacher Weg ist.

Dennoch gibt es bereits eine Reihe von Beispielen für klimafreundliche Quartiersentwicklungen und entsprechende Planungen für weitere Projekte. Ein Beispiel ist die Bahnstadt Heidelberg. Seit 2008 ist hier auf 116 Hektar eine Passivhaussiedlung mit rund 3.700 Wohnungen, Laborgebäude, Geschäfte, Kitas und Schulen, eine Feuerwache und ein Kino entstanden. Die Strom- und Wärmeversorgung erfolgt vollständig aus erneuerbaren Energien über ein Holzheizkraftwerk der Stadtwerke Heidelberg.

Auf dem 22 Hektar großen Areal des ehemaligen Güterbahnhofs in Stuttgart-Bad Cannstatt entsteht das neue Wohn‐ und Gewerbegebiet Neckarpark mit 850 Wohneinheiten, Gewerbeflächen, Parks, Plätzen und Straßen. Für den Neckarpark wurde ein zukunftsorientiertes Energiekonzept entwickelt, das Abwasser als Hauptwärmequelle genutzt.

Auf den Konversionsflächen der ehemaligen Graf-Stauffenberg-Kaserne im Sigmaringen entsteht derzeit ein energieautarkes Quartier. Die Energie, die zukünftig im Quartier verbraucht wird, soll zu 75 Prozent direkt auf dem Gelände aus überwiegend regenerativen Energiequellen erzeugt werden. Ein „virtuelles Kraftwerk bildet als Steuerzentrale für Energie und Wärme das Herzstück der smarten Energieversorgung. Hier wird entschieden, abhängig nach Bedarf, Tageszeit und Witterung, welche Art der Energie eingesetzt wird. Intelligente Speichertechnologie sorgt mit dafür, dass die Energieversorgung sich flexibel an den Energiebedarf für Wärme, Strom und Mobilität anpassen lässt. Regenerative Wärme liefern unter anderem ein Holzhackschnitzelkessel, eine Solarthermieanlage und eine Wärmepumpe. Der Strombedarf für Wohnen, Arbeiten und Ladesäulen für E-Autos wird über Photovoltaik abgedeckt. Zwei Blockheizkraftwerke (BHKW) sorgen immer dann verlässlich und energieeffizient für Wärme und Strom, wenn Sonne und Wind ausbleiben.

Mit seinen aktuell rund 110 Wohneinheiten in Einfamilienhäusern, Doppelhaushälften und Reihenhäusern dient die Ressourcenschutzsiedlung Bedburg-Kaster als Vorzeigequartier für die Energiewende. Hier liefern eine quartierseigene PV-Anlage und eine Windkraftanlage mit Direktanbindung grünen Strom, den die Bewohnerinnen und Bewohner in ihren Gebäuden dank Batteriespeicher auch abends oder bei Flaute nutzen können. Zusätzlich besitzt das Quartier eine Anbindung an das öffentliche Stromverteilnetz. Für grüne Wärme sorgt die kombinierte Erzeugung von Energie aus Abwasser-Wärmerückgewinnung, Wärmepumpen, einem Wärme-Pufferspeicher mit einer Kapazität von 10.000 Litern und einer rund 400 Quadratmeter großen Fläche mit Erdwärmekollektoren. Alle Komponenten werden intelligent aus der quartierseigenen Energiezentrale gesteuert. In ihr läuft die gesamte Energie- und Kommunikationsinfrastruktur zusammen.

Es sind in der Regel Neubaugebiete, die möglichst energieautark gestaltete werden. Denn eine weitgehend freie Fläche macht die Planungen einfacher. Die größere Herausforderung ist, bestehende Quartiere umzugestalten, da hier der Raum für neue Anlagen, sei es der Strom- und Wärmeerzeugung, der Speicherung oder der Steuerung, meist beschränkt ist und auch die Nutzung der Dächer für Solarenergie hängt von der Ausrichtung der Dächer ab. Hier wird man häufig nicht ein komplette Energieautarkie erreichen, aber zumindest eine deutliche Verringerung des Energiebedarfs und damit der CO2-Emissionen (bis zu 80 Prozent).

Vorteile und zukünftige Entwicklungen

Ein erster Schritt zu energieautarken Quartieren war die Einführung von Mieterstrom. Dabei versorgen PV-Anlagen oder Blockheizkraftwerke ein Mehrparteienhaus mit vor Ort produziertem Ökostrom, der vom Vermieter direkt an die Mieter verkauft wird. Die Weiterentwicklung dieses Modells betrachtet nicht nur Einzelgebäude, sondern größere Gebäudeansammlungen. Denn mit der Zahl der versorgten Gebäude verbessert sich die Wirtschaftlichkeit der Projekte und ergeben sich auch neue Möglichkeiten, Strom dort einzusetzen, wo er erzeugt wurde – zum Beispiel für E-Mobilität oder zur Wärmegewinnung mit überschüssiger Energie.

Die Vorteile von Quartierslösungen liegen auf der Hand. Sie sind kostengünstiger, da Skalen- und Synergieeffekte die Investitionskosten verringern. Sie schaffen sichere Versorgungsbedingungen und machen durch Smart Meter-gestützte Energievisualisierung den eigenen Energieverbrauch transparenter.

Künftige Entwicklungen werden sich zunehmend auch des Bestands annehmen müssen und diesen entsprechend umgestalten. Hier allerdings gilt es, noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten, und zwar bei allen Beteiligten: Kommunen, Gewerbetreibenden, Unternehmen, Bewohnern, Energieversorgern und Wohnungswirtschaft sowie bei privaten Haus- und Wohnungseigentümern. Gerade bei der Transformation des Gebäudebestands dürften die Widerstände erheblich sein, wie schon das so genannte Heizungsgesetz (Gebäudeenergiegesetz) gezeigt hat. Und es wird nötig sein, entsprechende Finanzierungsmodelle zu entwickeln, die für Mieter wie private Eigentümer tragbar sind.