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Digitalisierung – es gibt viel zu tun, fangen wir an!

Die Immobilienbranche ist eine traditionelle Zunft – hier wird von Hand Stein auf Stein gesetzt, wie seit Jahrhunderten. Doch das ändert sich gerade.

Januar 2022

Nicht an der Technologie mangelt es

Die ständig steigenden Baukosten, der Mangel an Facharbeiternachwuchs auf dem Bau und zuletzt die Anforderungen einer Dekarbonisierung des Immobiliensektors wirken als disruptive Faktoren auf die so konservative Branche.

Allerdings hat die mittelständisch geprägte Bauwirtschaft in der aktuellen Hochkonjunktur schlicht nicht den Kopf frei für eine Implementierung digitaler Prozesse. Dabei könnte modulares Bauen mit robotergefertigten Teilen und erst recht digitale Zwillinge bestehender und geplanter Immobilien einen Quantensprung hinsichtlich effizienter Zusammenarbeit aller am Bau und Facility Management beteiligten Gewerke und Dienstleister auslösen. Denn die Technologie ist vorhanden, es mangelt im aktuellen Boom am Willen bzw. Kapazitäten zur Umsetzung. Das gilt für Deutschland mit seiner stark mittelständisch geprägten Bauindustrie in besonderem Maße, das gilt auch für die Verwaltung, angesprochen sei nur die längst überfällige „digitale Baugenehmigung“. Auf Nutzerseite sind
„Smart Homes“ attraktiv für eine Gesellschaft, die von zunehmender Vereinzelung und Überalterung gekennzeichnet ist. Intelligente, vernetzte Haustechnik erlaubt das Leben in den eigenen vier Wänden, auch wenn die körperliche und/oder geistige Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist: Eine intelligente Wohnung kann Vitalfunktionen der Bewohner überwachen, Unfälle etwa durch Sturzgeschehen entdecken und melden sowie sicherheitsrelevante Versäumnisse, etwa beim Abschalten von Herdplatten, ausgleichen.

So ganz allmählich könnte jedoch Bewegung in die Sache kommen: Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie schwerfällig papiergebundene Prozesse sind, auf einmal wurde aus der Not vieles ermöglicht, was bisher undenkbar schien – der physische Transport von Dokumenten wurde durch Datenräume ersetzt – disruptive Digitalisierung wurde zur schieren Überlebensnotwendigkeit,
war plötzlich kein Luxus mehr.

CO2-Fußabdruck in Übergröße

Ein weiterer, langfristiger Treiber der Digitalisierung ist die angestrebte Dekarbonisierung. Als einer der Hauptverantwortlichen für den CO2-Fußabdruck der Industriestaaten kann sich die Immobilienbranche ihrer Verantwortung nur stellen, wenn sie zügig die Grundlage für eine verursachergerechte Erhebung von CO2-Emissionen schafft. Denn nur auf Basis einer validen Datenerhebung ist eine Steuerung des Verhaltens von Mietern, Nutzern und Dienstleistern in und um die Immobilie möglich, die Voraussetzung für eine Reduktion des CO2-Ausstoßes ist.

Smart Metering, die digitale Erfassung des Verbrauchs von Energie und Wärme, wird von immer mehr Bestandshaltern in ihren Portfolien ausgerollt. Weitere ESG-relevante Daten, die identifiziert, erhoben und gemanagt werden müssen, sind zum Beispiel Abfallqualität und -volumina und Wasserverbräuche. Da die Erfüllung von ESG-Kriterien immer wichtiger für die Vermietbarkeit von Immobilien einerseits und für den Vertrieb von Immobilien-Anlageprodukten andererseits wird, schaffen sie einen erheblichen Innovationsdruck in der Branche.

Digital, aber nicht ökologisch?

Bei dem fortschreitenden Trend zur Digitalisierung darf jedoch nicht übersehen werden, dass Datenerfassung und -verarbeitung ihrerseits einen nicht zu vernachlässigenden Energiebedarf induziert: Der Energieverbrauch von Servern und Rechenzentren stieg allein in Deutschland in den Jahren von 2000 bis 2020 von 4 Mrd. kWh rund 12 Mrd. Kwh! Umso wichtiger ist es, den Daten- und Informationsbedarf strategisch zu analysieren, anstatt einfach drauflos zu digitalisieren. Denn das alte Bonmot gilt immer noch: "Wenn Sie einen miesen Prozess digitalisieren, dann haben Sie einen miesen digitalen Prozess."

Autorin

Stephanie von Keudell

Freie Journalistin